Baumeister

Fritz Leonhardt ist der Schöpfer, Gestalter und Konstrukteur des Stuttgarter Fernsehturms, man könnte auch sagen "der Baumeister“, obwohl er von seiner Berufsbezeichnung her Bauingenieur war.  Leonhardt wollte nie nur technische, sondern immer auch ästhetische Bauwerke schaffen. Über den Fernsehturm sagte er selbst: "Mit diesem Bauwerk ist es wohl gelungen, einmal wieder zu zeigen, dass man technisch Notwendiges gleichzeitig auch schön gestalten kann, sodass es den Menschen zur Freude wird und ihnen auch unmittelbar dient.“

Herausragende Pionierleistung

Als 44-Jähriger, in der Mitte seines Lebens, schuf der Stuttgarter Bauingenieur einen Turm mit einem Baustoff, der bisher für Brücken, aber nicht für Türme genutzt wurde, nämlich Spannbeton. Aber nicht nur das neue Material war eine Herausforderung, andere Ansprüche kamen dazu: Leonhardt wollte einen formschön gestalteten Turm, der mit Gastronomie und einer Aussichtsplattform öffentlich zugänglich sein soll.

Heute ist es unumstritten: Der Stuttgarter Fernsehturm ist eine herausragende Pionierleistung Leonhardts. Jörg Schlaich, weltweit anerkannter Bauingenieur und emeritierter Professor an der Universität Stuttgart schrieb: "So gab es zwar bei den späteren Türmen manche Detailverbesserung, aber etwas wirklich Neues kam nicht hinzu. Der Stuttgarter Fernsehturm blieb das unübertroffene Vorbild.“

“Auch der Bauingenieur muss seinen Beruf als Planer, Entwerfender und Gestalter sehen und die Bauwerke als Ganzes betrachten. Auch er muss mindestens Sinn und Verständnis für schönheitliche Gestaltung haben, denn seine Bauwerke sind auch Teil der gebauten Umwelt.”
Fritz Leonhardt

Viele Herausforderungen 

Geplant war ein 200 Meter hoher Stahlgittermast. Er sollte rund 200.000 DM kosten und bis zum Spätsommer 1954 fertig sein. Der Regierungsbaumeister und beratende Bauingenieur für Brücken- und Hochbau Fritz Leonhardt erfuhr zufällig von den Plänen. Seiner Meinung nach würde ein Gittermast die Stuttgarter Höhenlage verschandeln. Er begeisterte Helmut Rupp, technischer Direktor des SDR, den Intendanten Fritz Eberhard und den Verwaltungsdirektor Friedrich Müller von seiner Idee, statt einem reinen Zweckbau, einen Aussichtsturm mit Cafe zu bauen.

Das umstrittene Projekt nahm seinen Lauf. Teile des Stuttgarter Gemeinderats befürchteten ein finanzielles Desaster. Nach monatelangen Verhandlungen mit der Stadt beschloss der Verwaltungsrat des SDR im Mai 1954, den Fernsehturm aus eigenen Mitteln zu finanzieren und sofort mit dem Bau zu beginnen. Am 10. Juni 1954 rollten die Planierraupen an. Nach den Plänen von Leonhardt wurde der Turm in nur 20 Monaten gebaut. Die künstlerische und technische Leitung übernahm der Architekt Erwin Heinle. Die geschätzte Bausumme lag bei 1,7 Millionen DM.

Stuttgarter Bürger protestierten, als der Turm über die Baumgipfel ragte und aus allen Himmelsrichtungen sichtbar wurde. In Leserbriefen wurde er Schildbürgerstreich, Schandmal oder Fremdkörper in der schönen Waldlandschaft genannt.

Kein Empfang zur Fußballweltmeisterschaft

Zur Fußballweltmeisterschaft 1954 wurde der Turm nicht fertig. Am 29. Oktober 1955, also noch vor der Einweihung des Turms, konnte der SDR den Fernsehsender in Betrieb nehmen. Der Sendeempfang im Großraum Stuttgart war nun gesichert.

Der Turm im Wandel der Zeit

Leonhardt war ein renommierter Ingenieur, der vor allem für seine Brückenbauten bekannt war. Einen Turm zu bauen, war in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung: Hält der schlanke Turm allen denkbaren Belastungen stand? Das Fundament musste die 3000 Tonnen Gewicht des Schafts halten. Der Aufzug mit seinem Gegengewicht durfte das Fundament bei einem möglichen Absturz auf keinen Fall zerstören. Orkane oder ein Erdbeben dürfen dem Gebäude nichts anhaben. Windgeräusche und Windlasten galt es genauso zu beachten wie der Schutz gegen Gewitter und Blitzeinschlag. Auch die Eigenschwingung des Turmes musste so gering wie möglich gehalten werden. Bei allen Überlegungen spielte die Ästhetik immer eine wichtige Rolle. Nicht zu vergessen, dass der Turm in erster Linie als Zweckbau dienen musste und viele auf einen besseren Fernsehempfang ungeduldig warteten. 
 
Bei der Sicherheit des Turmes gab sich Leonhardt besondere Mühe. Er und seine Mitarbeiter haben die Windkräfte, die in baurechtlichen Vorschriften angegeben waren, annähernd verdoppelt und für eine 2,5-fache Sicherheit gesorgt. Der Turm würde einen Sturm, der viermal so stark bläst als jemals im Land beobachtet, schadlos überstehen. Abbrechen oder umkippen würde er erst bei der 5- bis 6-fachen derartigen Windlast. 
 
Zur Berechnung standen den Ingenieuren damals weder Taschenrechner noch PC zur Verfügung, sondern lediglich Rechenschieber. Gummibänder wurden genutzt, um sich Zug- und Tragkräfte vorzustellen.


Vom Wagnis zum Wahrzeichen

Der Turm war trotz aller Sicherheitsvorkehrungen ein Wagnis. Auch wenn Leonhardt Spannbeton vom Brücken- und Wohnungsbau her kannte, fehlte die Erfahrung beim Turmbau. Ebenfalls keine Erfahrung in Europa gab es mit der Fassadenverkleidung aus Aluminium. Unklar war zudem, wie sich Wind und Wetter auf die Bauarbeiten auswirken werden. 
 
Dass der Fernsehturm in dieser Zeit mit den vielen Unbekannten trotzdem gebaut wurde, ist einer Verkettung mutiger Entscheidungen zu verdanken. Leonhardt, der Initiator, begeisterte andere für seine Ideen. Die damaligen Geschäftsführer des Süddeutschen Rundfunks standen trotz steigender Kosten stets hinter dem Projekt. Mit Erwin Heinle wurde ein versierter Architekt gewonnen. Der Oberbauleiter Heinle fand für alle Unwägbarkeiten während des Baus eine Lösung. Außerdem war er für den Innenausbau und die Gebäude am Fuß des Turms zuständig. 
 
Mitte der 50er Jahre war Stuttgart noch von Kriegsschäden gezeichnet und mitten im Bauboom begriffen. Viele andere Bauwerke entstanden zur selben Zeit. 1956 wurde nicht nur der Fernsehturm eingeweiht, auch das neue Rathaus, die Liederhalle und die Obertürkheimer Brücke wurden in diesem Jahr fertiggestellt. 
 
Leonhardt schrieb in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung zur Eröffnung: "Am Tage der Einweihung habe ich den Wunsch, dass dieses Bauwerk meinen Landsleuten immer mehr gefallen möge, dass möglichst viele aus nah und fern den prachtvollen Ausblick auf unser schwäbisches Heimatland von dort oben genießen mögen, und dass die Stuttgarter dann langsam stolz werden auf ihren Fernsehturm.“ 

Leonhardts wichtigste Lebensdaten

  • 1909
    geboren in Stuttgart
  • 1927
    Abitur am Dillmann-Gymnasium in Stuttgart
  • 1927 bis 1931
    Bauingenieur-Studium an der technischen Hochschule Stuttgart
  • 1932 bis 1933
    Studium an der Purdue University in Lafayette (USA)
  • 1934 bis 1938
    Brückenbauingenieur bei der deutschen Reichsautobahn 
  • 1939
    Freiberuflicher Ingenieur in München, Köln und Stuttgart
  • 1958
    Professor für Massivbau an der Universität Stuttgart
  • 1967 bis 1969
    Rektor der Universität Stuttgart
  • 1999
    gestorben in Stuttgart

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